Robert Frank (1924–2019), geboren in Zürich und ausgebildet als Fotograf, zählt zu den prägendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts, dessen Werk die Fotografie nachhaltig beeinflusst hat. Nach seiner Emigration nach New York im Jahr 1947 entwickelte er einen Stil, der sich radikal vom damals vorherrschenden Mainstream abhob. Statt polierter, idealisierter Bilder suchte Frank die rohe, ungeschönte Realität. Seine Arbeitsweise war tief persönlich und eng mit seiner eigenen Erfahrung als „Andersartiger“ oder „Außenseiter“ verbunden, ein Gefühl, das ihn seit seiner Zeit in der Schweiz begleitete und auch in den USA prägte. Um zu verstehen, wie Robert Frank seine unvergesslichen Fotos schuf, müssen wir uns sowohl seinen technischen Ansatz als auch seine zugrundeliegende Philosophie und seine Lebensweise ansehen, die untrennbar miteinander verknüpft waren.

Der entscheidende Wendepunkt in Franks Karriere und in der Geschichte der Fotografie war zweifellos die Veröffentlichung seines Buches „Die Amerikaner“. Zuerst 1958 in Frankreich und 1959 in den Vereinigten Staaten publiziert, revolutionierte dieses Werk den Lauf der Fotografie des 20. Jahrhunderts. Mit 83 sorgfältig ausgewählten Fotografien tauchte Frank unter die Oberfläche des amerikanischen Lebens ein. Er zeigte nicht das strahlende Selbstbild einer Nation, sondern die unterschwelligen Spannungen, die Kämpfe mit Rassismus, die politischen Probleme und die aufkeimende Konsumkultur. „Die Amerikaner“ war mehr als eine Ansammlung von Bildern; es war eine visuelle Erzählung, die durch die thematische, konzeptionelle und sprachliche Verknüpfung der Fotografien eine völlig neue Kraft entfaltete. Für Fotografen, die die Macht des Storytellings durch Bilder verstehen wollen, ist dieses Buch bis heute eine unschätzbare Ressource. Frank nutzte hierfür eine 35mm-Kamera, die ihm die nötige Flexibilität und Diskretion für seine Beobachtungen auf der Straße gab. Sein 35mm-Vokabular, wie es in „Robert Frank: In America“ analysiert wird, erlaubte ihm, schnell und intuitiv auf die sich entfaltenden Szenen des Alltags zu reagieren und so das künstlerische Potenzial des Mediums neu zu definieren.
Franks Ansatz war selten auf die reine Ästhetik beschränkt; er suchte stets nach tieferer Bedeutung. Seine oft körnigen, manchmal unscharfen oder scheinbar zufälligen Bilder waren bewusst gewählt, um eine bestimmte Stimmung oder Wahrheit einzufangen. Ein zentrales Zitat von ihm lautet: „Es gibt eine Sache, die das Foto enthalten muss, die Menschlichkeit des Augenblicks.“ Dieser Fokus auf die menschliche Erfahrung, auf Emotionen, Verletzlichkeit und alltägliche Kämpfe, ist ein Markenzeichen seiner Arbeit. Er fotografierte Menschen in ihren Umgebungen – in Diners, auf Straßen, bei Versammlungen – und fing dabei oft Gefühle von Einsamkeit, Entfremdung oder stillem Widerstand ein. Sein Blick war empathisch, aber unbestechlich. Er sah und zeigte das, was viele andere Fotografen übersahen oder bewusst vermieden.
Die Wahl des Schwarzweißformats war für Frank von grundlegender Bedeutung. Er sah Schwarz und Weiß nicht nur als technische Notwendigkeit (die Farbfotografie war in den 1950ern noch nicht so weit entwickelt für seinen Stil), sondern als Ausdruck seiner Weltanschauung. „Schwarz und Weiß sind die Farben der Fotografie“, sagte er. „Für mich symbolisieren sie die Alternativen von Hoffnung und Verzweiflung, denen die Menschheit für immer ausgesetzt ist.“ Durch den Verzicht auf Farbe konzentrierte er sich auf Formen, Texturen, Licht und Schatten – aber vor allem auf die emotionale und symbolische Dimension seiner Motive. Schwarzweiß verlieh seinen Bildern eine zeitlose Qualität und eine Intensität, die das Gefühl des Dokumentarischen verstärkte und gleichzeitig eine poetische Ebene hinzufügte. Er wünschte sich, dass seine Bilder beim Betrachter eine ähnliche Wirkung erzielen wie eine Zeile eines Gedichts, die man zweimal lesen möchte.
Nachdem „Die Amerikaner“ ihn berühmt gemacht hatte, wandte sich Frank ab 1959 verstärkt dem Film zu. Diese Wende war kein Bruch, sondern eine Erweiterung seiner künstlerischen Suche. Er sah das Kino als „Wahrheit vierundzwanzig Mal pro Sekunde“, eine andere Form, die Realität einzufangen als die Fotografie als „Wahrheit“. Seine Filme, wie „Pull My Daisy“ oder später „Cocksucker Blues“, waren oft experimentell, widersetzten sich traditionellen Erzählformen und spiegelten seine anhaltende Distanz zum „Betrieb“ wider. Die Auseinandersetzung mit bewegten Bildern beeinflusste auch seine spätere Fotografie. Das Buch „Robert Frank: Hold Still, Keep Going“ zeigt die Verbindung zwischen seinen Foto- und Filmarbeiten und wie das Zusammenspiel von Stand- und Bewegtbildern ihn faszinierte. Er begann, Serien von Fotos zu erstellen, die eine narrative Sequenz andeuteten, oder integrierte Filmstreifen und Montagen in seine Werke.

Mit der Zeit wurde Franks Arbeit zunehmend introspektiver und persönlicher. Ab den 1970er Jahren verbrachte er die Sommer meist in der abgelegenen Einsamkeit von Mabou, Nova Scotia, Kanada. Dieser Ort wurde zu einem zentralen Motiv und Rückzugsort. In Büchern wie „Robert Frank: Good days quiet“ dokumentierte er sein einfaches Zuhause, Porträts von Freunden und Familie sowie die umliegenden Landschaften. In dieser Phase begann er auch, mit Polaroid-Experimenten zu arbeiten. Diese Drucke zeigten oft eine bewusste Verschlechterung und Manipulation – Kratzer, Text, Farbe – was den Bildern eine zusätzliche Ebene der Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit verlieh. Diese Technik ermöglichte es ihm, persönliche Erinnerungen festzuhalten und gleichzeitig die Flüchtigkeit des Moments und die Spuren der Zeit zu thematisieren. Es war eine Abkehr von der "perfekten" Abbildung hin zu einer subjektiveren, erfahrungsbasierten Darstellung.
Franks Leben und Werk waren untrennbar miteinander verbunden. Seine Kunst war oft eine direkte Reflexion seiner Erfahrungen, seiner Verluste (wie der Tod seiner Tochter Andrea) und seiner Suche nach Sinn. Seine Film-Trilogie („Conversations in Vermont“, „Life Dances On“, „The Present“) ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie er sein eigenes Leben, seine Familie und seine Gedanken zum Gegenstand seiner Kunst machte, immer offen für Krisen und die Infragestellung seiner eigenen Weltsicht. In „Home Improvements“, seiner ersten Videoarbeit, dokumentierte er seinen Alltag, die Krankheit seiner Frau und sogar die Zerstörung eines Stapels seiner eigenen Fotos mit einer Bohrmaschine – ein radikaler Akt, der seine fortwährende Auseinandersetzung mit dem Medium und seinem eigenen Werk zeigt.
Robert Franks fotografische Methode war also keine starre Technik, sondern ein fließender Prozess, der sich im Laufe der Zeit entwickelte und von seinen persönlichen Erfahrungen, seiner Philosophie und seiner Auseinandersetzung mit anderen Medien wie dem Film beeinflusst wurde. Er nutzte die 35mm-Kamera für den schnellen, ungestellten Blick, das Schwarzweiß für symbolische Tiefe und emotionale Wirkung, und später die Polaroid-Experimente für Introspektion und das Spiel mit Materialität und Erinnerung. Sein Außenseiterblick ermöglichte ihm, das Unsichtbare sichtbar zu machen und die Menschlichkeit auch in den unscheinbarsten Momenten zu finden. Sein Werk ist eine Aufforderung, nicht nur mit den Augen zu sehen, sondern auch mit Empathie zu „lauschen“, wie er es ausdrückte.
Häufig gestellte Fragen zu Robert Franks Fotografie
Welche Kamera benutzte Robert Frank hauptsächlich?
Robert Frank benutzte für viele seiner frühen und bekanntesten Arbeiten, insbesondere für „Die Amerikaner“, eine 35mm-Kamera. Dies erlaubte ihm einen flexiblen und oft unauffälligen Ansatz in der Street Photography. Später experimentierte er auch intensiv mit Polaroid-Kameras.
Warum sind die meisten Fotos in „Die Amerikaner“ schwarzweiß?
Frank wählte Schwarzweiß nicht nur aus praktischen Gründen der damaligen Zeit, sondern auch aus künstlerischen und symbolischen Überlegungen. Für ihn repräsentierten Schwarz und Weiß die Gegensätze von Hoffnung und Verzweiflung, die das menschliche Dasein prägen. Schwarzweiß ermöglichte ihm, sich auf Formen, Texturen und die emotionale Tiefe seiner Motive zu konzentrieren.

Was sind die Hauptthemen in Robert Franks Fotografie?
Franks Arbeit kreist oft um Themen wie die Menschlichkeit des Augenblicks, das amerikanische Leben jenseits der Klischees (Rassismus, Konsumgesellschaft, Politik), das Gefühl des Außenseiterblicks, Einsamkeit, Entfremdung, aber auch persönliche Themen wie Familie, Erinnerung und Verlust, insbesondere in seinen späteren Werken.
Wie beeinflusste seine Filmarbeit seine Fotografie?
Ab 1959 wandte sich Frank dem Film zu, was seine Herangehensweise an die Fotografie veränderte. Er begann, das Zusammenspiel von Stand- und Bewegtbildern zu erforschen. Dies führte dazu, dass er in seinen späteren Fotoarbeiten oft sequentielle Anordnungen, Montagen oder die Integration von Text und Filmstills nutzte, um narrative oder assoziative Verbindungen zu schaffen.
Was machte „Die Amerikaner“ so revolutionär?
„Die Amerikaner“ war revolutionär, weil es einen schonungslosen, ungeschönten Blick auf das amerikanische Leben der 1950er Jahre warf, der sich stark vom idealisierten Selbstbild unterschied. Frank nutzte eine subjektive, poetische und narrative Herangehensweise, die durch die thematische und konzeptionelle Verknüpfung der 83 Bilder eine kraftvolle Geschichte erzählte und die Möglichkeiten des Fotobuchs als künstlerisches Medium neu definierte.
Robert Frank war ein Künstler, der die Grenzen des Mediums ständig neu auslotete. Seine Art zu fotografieren war tiefgründig, persönlich und stets auf der Suche nach der Essenz des menschlichen Erlebens. Er hinterließ ein Werk, das nicht nur die Fotografie veränderte, sondern uns auch lehrte, genauer hinzusehen – und zu fühlen.
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