Viele sehen den 8. oder 9. Mai 1945 als das klare und endgültige Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa und damit auch des nationalsozialistischen Deutschen Reichs. An diesen Tagen wurde die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht unterzeichnet, was zweifellos das Ende der Kampfhandlungen auf breiter Front bedeutete. Doch die Realität war weitaus vielschichtiger und das, was gemeinhin als „Drittes Reich“ bezeichnet wird, verschwand nicht über Nacht. Die Strukturen lösten sich nicht augenblicklich auf, und für viele Menschen, ob Soldaten, Funktionäre oder Zivilisten, war das Kriegsende kein plötzlicher Schlusspunkt, sondern ein chaotischer Übergang.

Die letzten Tage des „Dritten Reiches“ im Mai 1945
Obwohl die militärische Niederlage besiegelt war, bedeutete dies nicht, dass überall sofort die Waffen schwiegen oder die nationalsozialistische Ordnung brach. Es gab weiterhin Kämpfe, und tragischerweise wurden auch nach der Kapitulation noch zahlreiche Hinrichtungen von sogenannten „Deserteuren“ durchgeführt. Die Ideologie und der Apparat des Regimes wirkten in manchen Bereichen noch nach, selbst als die militärische Gewalt endete. Gleichzeitig versuchten führende Nationalsozialisten, sich der Verantwortung zu entziehen. Einige versuchten, sich abzusetzen, um einer Gefangennahme zu entgehen. Andere wählten den Suizid, wie beispielsweise SS-Chef Heinrich Himmler, der sich am 23. Mai 1945 in Lüneburg das Leben nahm. Wieder andere, wie Albert Speer, versuchten, sich nach Kriegsende als Unbeteiligte oder Technokraten zu gerieren und ihre Rolle im System herunterzuspielen.
Die politische Führung des zerfallenden Reichs existierte formell noch einige Tage weiter. Großadmiral Karl Dönitz, von Adolf Hitler zu seinem Nachfolger bestimmt, führte eine sogenannte geschäftsführende Reichsregierung in Flensburg-Mürwik an. Diese Regierung versuchte, eine gewisse Ordnung aufrechtzuerhalten und mit den Alliierten zu verhandeln, auch wenn ihre Legitimation und Handlungsfähigkeit minimal waren. Er gab sogar noch am 18. Mai 1945 einen Tagesbefehl an die Wehrmacht heraus. Doch auch diese letzte formale Instanz des „Dritten Reiches“ fand ihr Ende. Am 23. Mai 1945 wurden Großadmiral Karl Dönitz und weitere Mitglieder dieser geschäftsführenden Reichsregierung von den Alliierten in Mürwik bei Flensburg festgenommen. Mit dieser Verhaftung endete auch die letzte offizielle deutsche Regierungsstruktur, die direkt aus dem nationalsozialistischen Regime hervorgegangen war.
Die Komplexität und die oft absurde Realität dieser Übergangsphase sind Gegenstand intensiver historischer Forschung. Das Buch „Mai 1945: Das absurde Ende des „Dritten Reiches““ von Gerhard Paul, das für 2025 angekündigt ist, beleuchtet diese letzten vier Wochen des zerfallenden Reichs. Es bietet eine Darstellung, die versucht, die vielfältigen Perspektiven dieser Zeit einzufangen: die der Täter, die weiterhin an das System glaubten oder versuchten zu entkommen; die der Mitläufer, die sich anpassten oder versuchten, in der Anonymität zu verschwinden; die der Opfer, für die das Leiden oft erst mit dem Kriegsende endgültig aufhörte; die der Besiegten und der Sieger; sowie die der Akteure und der Zuschauer dieses historischen Dramas. Gerhard Paul, emeritierter Professor für Geschichte und ihre Didaktik an der Europa-Universität Flensburg, ist ein anerkannter Experte für die NS-Zeit, insbesondere für die NS-Täterforschung sowie die Medialität und Visualität der Geschichte. Seine zahlreichen Publikationen, unter anderem zur Gestapo sowie neuere Werke wie „BilderMACHT. Studien zur Visual History des 20. und 21. Jahrhunderts“ (2013), „Die Bundesrepublik. Eine visuelle Geschichte“ (2023) und „Nationalsozialismus. Aufstieg – Macht – Niedergang – Nachgeschichte“ (2023, zusammen mit M. Wildt), zeugen von seinem tiefen Einblick in diese Epoche. Die Stiftung Topographie des Terrors, deren Direktorin Andrea Riedle ist, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Aufarbeitung und Vermittlung der Geschichte des Nationalsozialismus.
Die Weichenstellung im Jahr 1935: Wiederaufrüstung
Um das Ende des „Dritten Reiches“ im Jahr 1945 vollständig zu verstehen, ist es notwendig, die Entwicklungen in den Jahren zuvor zu betrachten, die zum Zweiten Weltkrieg führten. Ein entscheidendes Jahr in dieser Hinsicht war 1935. Bereits seit der Machtübernahme 1933 planten die Nationalsozialisten die Abkehr von den Rüstungsbeschränkungen, die Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg durch den Versailler Vertrag auferlegt worden waren. Mit dem „Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht“ im März 1935 wurde dieser Plan in die Tat umgesetzt und öffentlich gemacht.

Dieses Gesetz hatte mehrere weitreichende Konsequenzen. Zunächst wurde die bisherige Reichswehr, die auf eine kleine Berufsarmee beschränkt war, in Wehrmacht umbenannt. Viel wichtiger war jedoch die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, die durch den Versailler Vertrag verboten war. Die Dauer des Wehrdienstes wurde zunächst auf ein Jahr festgesetzt, aber bereits im August 1936 auf zwei Jahre verlängert. Mit der Einführung der Wehrpflicht konnte Deutschland die Größe seiner Armee massiv steigern. Die ersten Wehrpflichtigen stellten die jungen Männer des Jahrgangs 1914. Das erklärte Ziel war der Aufbau eines deutschen Friedensheeres von 36 Divisionen mit insgesamt 580.000 Soldaten. Dieses Heer sollte bis 1939, dem Jahr des Kriegsbeginns, kriegsfähig sein.
Die offene Erklärung Hitlers, die Rüstungsbestimmungen des Versailler Vertrags nicht länger einzuhalten, löste erwartungsgemäß Proteste bei den Westmächten aus, insbesondere bei Großbritannien und Frankreich, den Hauptarchitekten des Versailler Vertrags. Sie sahen in der deutschen Wiederaufrüstung eine direkte Bedrohung der europäischen Friedensordnung. Dennoch blieben strenge Sanktionen der Großmächte aus. Dies lag unter anderem daran, dass Deutschland seine Wiederaufrüstung strategisch als gegen die kommunistische Sowjetunion gerichtet deklarierte. Diese Darstellung fand in einigen westlichen Hauptstädten, die ebenfalls der Sowjetunion misstrauten, ein gewisses Gehör und schwächte die Entschlossenheit zu einem gemeinsamen Vorgehen.
Als Reaktion auf die deutsche Aufrüstung und die Bruch des Versailler Vertrags schlossen sich Großbritannien, Frankreich und Italien am 14. April 1935 in Stresa zur sogenannten Stresa-Front zusammen. Sie verpflichteten sich, allen weiteren Vertragsbrüchen Deutschlands gemeinsam entgegenzutreten. Frankreich reagierte auf die zunehmende Bedrohung durch den östlichen Nachbarn Deutschland zudem am 2. Mai 1935 mit einem Beistandsabkommen mit der Sowjetunion. Zwei Wochen später schlossen die Sowjetunion und die Tschechoslowakei ein ähnliches Abkommen, um sich gegen eine mögliche deutsche Aggression abzusichern.
Großbritannien verfolgte jedoch eine andere Strategie. Es hoffte, die deutsche Wiederaufrüstung durch bilaterale Verträge begrenzen zu können, anstatt auf Konfrontation zu setzen. Dies führte am 18. Juni 1935 zum Abschluss des deutsch-britischen Flottenabkommens. Dieses Abkommen erlaubte es Deutschland, eine Flotte aufzubauen, deren Gesamttonnage 35 % der britischen Flotte betragen durfte. Obwohl es aus britischer Sicht ein Versuch war, die deutsche Marine aufrüstung unter Kontrolle zu bringen, brach es de facto die Stresa-Front auf und signalisierte Deutschland, dass die Westmächte nicht geeint gegen seine Revisionspolitik vorgingen. Das Jahr 1935 markiert somit einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zum Krieg, da Deutschland die Fesseln des Versailler Vertrags abwarf und die internationale Gemeinschaft keine effektive gemeinsame Antwort fand, was die aggressive Politik des NS-Regimes weiter begünstigte.
Wichtige Daten im Überblick
Ereignis | Datum / Zeitraum | Kontext |
---|---|---|
Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht | März 1935 | Wiedereinführung der Wehrpflicht und Beginn der offenen Wiederaufrüstung entgegen dem Versailler Vertrag |
Bildung der Stresa-Front | 14. April 1935 | Zusammenschluss von Großbritannien, Frankreich und Italien als Reaktion auf deutsche Vertragsbrüche |
Deutsch-Britisches Flottenabkommen | 18. Juni 1935 | Bilaterales Abkommen, das Deutschland den Aufbau einer Marine erlaubt und die Stresa-Front schwächt |
Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht | 7. / 9. Mai 1945 | Ende der militärischen Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs in Europa |
Verhaftung der geschäftsführenden Reichsregierung unter Dönitz | 23. Mai 1945 | Ende der letzten formalen Regierungsinstanz des „Dritten Reiches“ in Mürwik |
Suizid Heinrich Himmlers | 23. Mai 1945 | Ein führender Nationalsozialist entzieht sich der Verantwortung |
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann endete der Zweite Weltkrieg offiziell für Deutschland?
Obwohl die Kämpfe vielerorts schon früher eingestellt wurden, markiert die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 7. Mai 1945 (westalliierte Generalstäbe) bzw. 9. Mai 1945 (Sowjetunion) das offizielle Ende der militärischen Kampfhandlungen. - War das Ende des „Dritten Reiches“ sofort und für jeden spürbar?
Nein, das Ende war ein Prozess. Viele kämpften weiter, es gab Hinrichtungen, und die Strukturen des Regimes lösten sich nicht schlagartig auf. Die geschäftsführende Reichsregierung existierte formell noch bis zum 23. Mai 1945. - Was geschah mit der Nachfolgeregierung nach Hitler?
Großadmiral Karl Dönitz, von Hitler als Nachfolger bestimmt, führte eine geschäftsführende Reichsregierung in Flensburg-Mürwik. Diese wurde am 23. Mai 1945 von den Alliierten verhaftet. - Was regelte das „Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht“ von 1935?
Dieses Gesetz benannte die Reichswehr in Wehrmacht um, führte die allgemeine Wehrpflicht wieder ein (entgegen dem Versailler Vertrag) und legte den Plan für den Aufbau eines Friedensheeres von 36 Divisionen fest. - Was war die Stresa-Front?
Die Stresa-Front war ein Zusammenschluss von Großbritannien, Frankreich und Italien im April 1935. Sie wurde als Reaktion auf die deutsche Wiederaufrüstung und den Bruch des Versailler Vertrags gebildet, um künftigen Vertragsbrüchen gemeinsam entgegenzutreten. - Warum gab es 1935 keine strengen Sanktionen gegen Deutschland wegen der Wiederaufrüstung?
Dies hatte mehrere Gründe. Deutschland deklarierte seine Wiederaufrüstung als Maßnahme gegen die Sowjetunion, was bei einigen Westmächten auf Verständnis stieß. Zudem verfolgte Großbritannien eine Politik der Verständigung und schloss das deutsch-britische Flottenabkommen, was die Einigkeit der Stresa-Front schwächte und eine gemeinsame Sanktionspolitik erschwerte.
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