Die Industrialisierung brachte nicht nur technischen Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum, sondern auch gravierende soziale Missstände mit sich. Insbesondere in den frühen Fabriken waren die Arbeitsbedingungen oft menschenunwürdig. Arbeiter, die zu Beginn der Industrialisierung den Fabrikherren vollkommen ausgeliefert waren, arbeiteten üblicherweise 15 Stunden pro Tag und länger. Es gab kaum Schutz vor Willkür, Gefahren am Arbeitsplatz oder gesundheitsschädigenden Tätigkeiten. Als Reaktion auf diese Zustände und den dringenden Bedarf an staatlichem Schutz für die Arbeitnehmer entstand das, was als Fabrikgesetz oder Fabrikgesetzgebung bekannt wurde. Diese Gesetzgebung markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Arbeitswelt und legte den Grundstein für den modernen Arbeitsschutz.

Die ersten entscheidenden Schritte in Richtung einer gesetzlichen Regulierung der Arbeitsbedingungen wurden in England gemacht. Das Vereinigte Königreich erkannte früh die Notwendigkeit, bestimmte Gruppen innerhalb der Arbeitnehmerschaft besonders zu schützen. Dabei standen vor allem Frauen und Kinder im Fokus der Gesetzgeber, da sie als nationale Ressource und besonders schutzwürdig angesehen wurden. Die Bemühungen um eine staatliche Intervention waren jedoch keineswegs unumstritten und stießen auf erheblichen Widerstand seitens der Industrie.

Die Anfänge in England: Der Factory Act von 1833
Das vom britischen Parlament am 29. August 1833 erlassene Fabrikgesetz, auch bekannt als Althorp's Act, stellte einen ersten, wenn auch noch begrenzten, Eingriff des Staates in die Arbeitsverhältnisse dar. Es war das erste Gesetz, das die Arbeitszeit für Kinder gesetzlich beschränkte. Diese Beschränkungen waren sorgfältig nach Altersgruppen gestaffelt:
- Kinder zwischen 9 und 13 Jahren durften nicht länger als acht Stunden pro Tag arbeiten.
- Für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren wurde die maximale Arbeitszeit auf zwölf Stunden pro Tag festgesetzt.
- Kinder unter neun Jahren sollten gänzlich von der Fabrikarbeit ausgeschlossen werden und stattdessen die Schule besuchen.
Trotz dieser Fortschritte waren die frühen Fabrikgesetze hart umkämpft. Die Industrie argumentierte, dass jegliche Begrenzung der Arbeitszeit die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen würde. Ein prominentes Beispiel für diese Haltung war der zeitgenössische Ökonom Nassau William Senior. Er warnte eindringlich vor einer Begrenzung der Arbeitszeit auf zehn Stunden täglich. Basierend auf seinen Studien behauptete er, dass die Baumwollspinnerei-Industrie erst in der letzten, also der zwölften, Arbeitsstunde Profit erwirtschaften würde. Eine Verkürzung auf zehn Stunden müsse demnach unweigerlich zum Zusammenbruch dieser Industrie führen. Diese und ähnliche Argumente verzögerten weitere Fortschritte. Der sogenannte Ten-Hour Act, der die Arbeitszeit weiter begrenzen sollte, wurde erst nach mehreren Anläufen im Jahr 1847 vom Parlament verabschiedet.
Der Weg zum Fabrikgesetz in der Schweiz
Auch in der Schweiz zeigten sich mit der zunehmenden Industrialisierung ähnliche Missstände wie in England. Zunächst erliessen einzelne Kantone eigene Fabrikgesetze, um die schlimmsten Auswüchse der Arbeiter-Ausbeutung einzudämmen. Kantone wie Glarus und Zürich gehörten zu den Vorreitern dieser Entwicklung. Die Notwendigkeit einer landesweiten Regulierung wurde jedoch immer offensichtlicher, insbesondere um die schlimmsten Missstände einheitlich bekämpfen zu können. Ein gravierendes Problem war beispielsweise die Tatsache, dass schulpflichtige Kinderarbeit leisteten, oft regelmässig vor und nach dem Unterricht in den Fabriken, bis dies durch entsprechende Gesetze verboten wurde.
Der Bundesstaat übernahm schliesslich 1877 die Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Fabrikgesetze, um eine einheitliche Grundlage für den Arbeitsschutz in der gesamten Schweiz zu schaffen. Dieses erste gesamtschweizerische Fabrikgesetz löste die bis dahin geltenden kantonalen Regelungen ab.
Die Pionierrolle des Kantons Glarus
Innerhalb der Schweiz nahm der Kanton Glarus eine besondere und wegweisende Rolle in der frühen Sozialgesetzgebung ein. Diese Pionierrolle war eng mit der direkten Demokratie des Kantons verbunden, insbesondere der Landsgemeinde, die es ermöglichte, progressive Gesetze direkt zu beschliessen, teils sogar gegen den Willen der Kantonsregierung.
Die Entwicklung der Fabrikgesetzgebung in Glarus verlief schrittweise:
- 1846: Die Kantonsregierung von Glarus verbot die Beschäftigung von Kindern unter 12 Jahren, zunächst beschränkt auf mechanische Spinnereien. Gleichzeitig wurden Obergrenzen für die Schichtlängen festgelegt: Nachtschichten auf höchstens 11 Stunden und Tagschichten auf höchstens 13 Stunden, mit einer Obergrenze von 14 Stunden für den Normalarbeitstag.
- 1848: Diese Regeln wurden durch die Landsgemeinde von Glarus bestätigt, was ihnen eine breitere demokratische Legitimation verlieh. Ausserdem sahen die Gesetze von 1848 und 1856 erste Massnahmen zur Arbeitssicherheit und Hygiene sowie einen bescheidenen Schutz für Wöchnerinnen vor.
- 1856: Das Arbeitsverbot für Kinder unter zwölf Jahren wurde auf alle Fabrikbetriebe im Kanton ausgeweitet.
- 1858: Die Sonntagsarbeit wurde im Kanton Glarus verboten.
- 1864: Die Landsgemeinde beschloss eine weitere Begrenzung des Normalarbeitstags auf 12 Stunden und das Verbot der Nachtarbeit. Bemerkenswert ist, dass dieser Beschluss gegen den Willen der Kantonsregierung gefasst wurde, was die Macht der direkten Demokratie in diesem Bereich unterstreicht.
- 1872: Die Landsgemeinde von Glarus setzte einen neuen Standard, indem sie den Normalarbeitstag auf 11 Stunden begrenzte.
Für die effektive Durchsetzung dieser Schutzbestimmungen war entscheidend, dass die Kontrolle nicht den Gemeinden überlassen wurde, sondern durch eine kantonale Fabrik-Kommission erfolgte.
Die Gesetzgebung im Kanton Zürich
Der Kanton Zürich, wirtschaftlich bedeutend und von den Liberalen regiert, begann seine Gesetzgebung im Bereich des Arbeitsschutzes sogar noch früher als Glarus. Die Entwicklung in Zürich verlief jedoch weniger dynamisch und wurde schliesslich vom Kanton Glarus in der Sozialgesetzgebung überholt.
Die wichtigsten Schritte in Zürich waren:
- 1837: Der Grosse Rat von Zürich erliess eine Verordnung zur Reglementierung der Kinderarbeit. Diese Verordnung verbot die Beschäftigung von schulpflichtigen Kindern in Fabriken.
- 1859: Ein eigentliches Fabrikgesetz wurde erlassen. Dieses Gesetz zielte auf den Schutz der Gesundheit der Arbeiter ab. Es legte die zulässige Maximalarbeitszeit auf 13 Stunden fest und untersagte grundsätzlich die Nachtarbeit von Kindern.
Obwohl Zürich früh begann, zeigten die späteren Entwicklungen in Glarus, insbesondere die Einführung des 11-Stunden-Tages 1872, dass dort progressivere Massnahmen durchgesetzt werden konnten.
Das Eidgenössische Fabrikgesetz von 1877
Der Übergang von kantonalen zu einem gesamtschweizerischen Gesetz markierte einen wichtigen Schritt zur Vereinheitlichung des Arbeitsschutzes. Das erste Eidgenössische Fabrikgesetz wurde 1877 verabschiedet und ersetzte die bestehenden kantonalen Regelungen. Interessanterweise orientierte sich dieses Bundesgesetz stark am Muster des fortschrittlichen Fabrikgesetzes, das der Kanton Glarus bereits 1872 erlassen hatte. Eine Schlüsselfigur bei der Ausarbeitung und Verabschiedung dieses Gesetzes war der zuständige Bundesrat Joachim Heer, FDP, der selbst aus dem Kanton Glarus stammte. Auch die Tatsache, dass einer der ersten drei schweizerischen Fabrikinspektoren, Fridolin Schuler, ebenfalls aus Glarus stammte, unterstreicht den grossen Einfluss dieses Kantons auf die frühe schweizerische Sozialgesetzgebung.

Ein zentrales Verbot des neuen Bundesgesetzes von 1877 war das Verbot für Kinder unter 14 Jahren, in Fabriken zu arbeiten. Dies gilt als ein entscheidender Schritt zur Eindämmung der industriellen Kinderarbeit in der Schweiz. Allerdings war die Durchsetzung des Gesetzes in der Epoche des Hochkapitalismus nicht immer einfach und teils noch ungenügend. Die Industrie suchte Wege, das Gesetz zu umgehen. Ein Beispiel dafür war die Stickereiindustrie in St. Gallen, die zunehmend auf Heimarbeit umstrukturiert wurde. In der Heimarbeit konnten Kinder nach wie vor weitgehend uneingeschränkt ausgebeutet werden, da die Kontrollmöglichkeiten dort schwieriger waren. Auch die Einrichtung von Fabrikinspektoraten, die für die Überwachung der Einhaltung des Gesetzes zuständig waren, erfolgte nicht überall sofort. Im Kanton Solothurn beispielsweise wurde ein solches Inspektorat erst im Jahr 1904 eingerichtet.
Vergleich wichtiger Regelungen
| Ort / Gesetz | Jahr | Wichtige Regelungen |
|---|---|---|
| England (Althorp's Act) | 1833 | Arbeitszeitbegrenzung für Kinder (9-13: max. 8h, 14-18: max. 12h), Kinder <9 zur Schule |
| Kanton Glarus | 1846 | Verbot Kinder <12 (Spinnereien), Limits für Schichtlängen (max. 11/13/14h) |
| Kanton Glarus | 1856 | Verbot Kinder <12 (alle Fabriken) |
| Kanton Glarus | 1858 | Verbot der Sonntagsarbeit |
| Kanton Glarus | 1864 | Max. 12h Normalarbeitstag, Verbot der Nachtarbeit |
| Kanton Glarus | 1872 | Max. 11h Normalarbeitstag |
| Kanton Zürich | 1837 | Regulierung Kinderarbeit, Verbot für Schulkinder in Fabriken |
| Kanton Zürich | 1859 | Fabrikgesetz, max. 13h Arbeitszeit, Verbot Nachtarbeit Kinder |
| Schweiz (Bundesgesetz) | 1877 | Ersetzt kantonale Gesetze, Verbot Kinder <14 in Fabriken |
Häufig gestellte Fragen zum Fabrikgesetz und Kinderarbeit
Die Einführung der Fabrikgesetze war ein langer Prozess mit weitreichenden Folgen. Hier beantworten wir einige häufige Fragen:
Frage: Was genau versteht man unter dem Fabrikgesetz?
Antwort: Unter dem Fabrikgesetz versteht man die staatliche Gesetzgebung, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Ländern wie England und der Schweiz eingeführt wurde, um Arbeiter, insbesondere Frauen und Kinder, vor der Willkür der Fabrikherren zu schützen. Es legte Regeln für Arbeitszeiten, Sicherheit und später auch andere Aspekte der Arbeitsbedingungen fest.
Frage: Warum waren Fabrikgesetze notwendig?
Antwort: Vor der Einführung der Fabrikgesetze waren die Arbeitsbedingungen in den Fabriken während der frühen Industrialisierung oft extrem schlecht. Arbeitszeiten von 15 Stunden und mehr pro Tag waren üblich. Es gab kaum Schutz vor Unfällen, gesundheitlichen Schäden oder Ausbeutung, insbesondere bei Frauen und Kindern.
Frage: Wann wurde Kinderarbeit in der Schweiz verboten?
Antwort: Die industrielle Kinderarbeit in Fabriken wurde in der Schweiz schrittweise eingeschränkt und schliesslich verboten. Ein entscheidender Schritt war die Einführung des obligatorischen Schulunterrichts im Jahr 1874. Das Eidgenössische Fabrikgesetz von 1877 verbot dann explizit die Arbeit von Kindern unter 14 Jahren in Fabriken. Zuvor hatten bereits einzelne Kantone wie Zürich (Verbot für Schulkinder 1837) und Glarus (Verbot für Kinder unter 12 Jahren 1846/1856) entsprechende Regeln erlassen.
Frage: Wie sahen die ersten Arbeitszeitbeschränkungen aus?
Antwort: Das englische Fabrikgesetz von 1833 beschränkte die Arbeitszeit für Kinder zwischen 9 und 13 Jahren auf acht Stunden und für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren auf zwölf Stunden täglich. In der Schweiz legte das frühe Zürcher Gesetz von 1859 eine Maximalarbeitszeit von 13 Stunden fest, während Glarus durch die Landsgemeinde die Grenze schrittweise von 14 auf 12 (1864) und schliesslich auf 11 Stunden (1872) senkte.
Frage: Stiessen die Fabrikgesetze auf Widerstand?
Antwort: Ja, die Fabrikgesetze waren anfangs sehr umkämpft. Viele Fabrikherren und einige Ökonomen, wie Nassau William Senior, warnten vor negativen wirtschaftlichen Folgen einer Arbeitszeitbegrenzung. Sie argumentierten, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit die Profitabilität der Unternehmen zerstören würde. Trotz dieses Widerstands wurden die Gesetze schrittweise durchgesetzt und verschärft.
Frage: War die Durchsetzung des Gesetzes überall sofort erfolgreich?
Antwort: Nein, die Durchsetzung des Eidgenössischen Fabrikgesetzes von 1877 war in der Praxis nicht immer einfach. Es gab Versuche, das Gesetz zu umgehen, beispielsweise durch die Verlagerung von Arbeit in die Heimarbeit, wo die Kontrollen schwieriger waren. Auch die Einrichtung von Fabrikinspektoraten zur Überwachung der Einhaltung des Gesetzes dauerte in einigen Kantonen wie Solothurn (bis 1904) noch einige Zeit.
Das Fabrikgesetz war somit ein Meilenstein im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und den Schutz der Schwächsten in der Gesellschaft während der Industrialisierung. Es zeigte, wie staatliche Regulierung notwendig wurde, um die schlimmsten Auswüchse der freien Marktwirtschaft einzudämmen und legte den Grundstein für das heutige Arbeitsrecht.
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