Seit seiner ersten Veröffentlichung im Jahr 1968 hat sich das Bilderbuch "Der Tiger, der zum Tee kam" von Judith Kerr zu einem festen Bestandteil vieler Kinderzimmer entwickelt. Es erzählt die scheinbar einfache, aber fesselnde Geschichte eines ganz besonderen Nachmittags, der das Leben der kleinen Sophie und ihrer Mutter auf den Kopf stellt. Dieses Buch ist weit mehr als nur eine Gute-Nacht-Geschichte; es ist ein kulturelles Phänomen, das Generationen von Lesern begeistert hat und immer wieder Anlass zu Diskussionen gibt.

Die Geschichte: Ein unerwarteter Gast beim Tee
Die Handlung beginnt an einem regnerischen Tag, an dem die kleine Sophie mit ihrer Mutter zu Hause ist und sie gerade beim Tee in der Küche sitzen. Plötzlich klingelt es an der Tür. Zur großen Überraschung der beiden steht dort ein riesiger, hungriger Tiger, der höflich fragt, ob er zum Tee bleiben darf. Sophie und ihre Mutter stimmen zu, und was folgt, ist ein denkwürdiges Ereignis.

Der Tiger erweist sich als unglaublich gefräßig. Zuerst isst er all das Essen auf dem Tisch – Sandwiches, Kuchen, Kekse. Dann trinkt er den gesamten Tee aus der Teekanne. Doch das ist erst der Anfang. Sein Hunger ist so groß, dass er anschließend den gesamten Inhalt des Kühlschranks und aller Schränke vertilgt. Keine Konserve, kein Brot, keine Milch ist vor ihm sicher. Er trinkt sogar das Wasser aus den Wasserhähnen trocken!
Nachdem der Tiger das Haus komplett leer gegessen und getrunken hat, verabschiedet er sich und geht. Als Sophies Vater von der Arbeit nach Hause kommt, findet er die Küche leer vor. Er schlägt vor, dass die Familie ausgeht und ein schönes Abendessen in einem Café genießt, da zu Hause nichts mehr zu essen da ist. Am nächsten Tag gehen Sophie und ihre Mutter einkaufen und kaufen jede Menge neue Lebensmittel, darunter auch eine sehr große Dose Tigerfutter. Doch der Tiger kehrt nie zurück. Am Ende des Buches sieht man ihn, wie er Trompete spielt, und aus der Trompete kommt das Wort "Goodbye".
Die Inspiration hinter der Geschichte
Judith Kerr selbst erzählte, dass die Inspiration für "Der Tiger, der zum Tee kam" ganz einfach und persönlich war. Die Geschichte entstand als Gute-Nacht-Geschichte für ihre eigene dreijährige Tochter Tacy. Kerr besuchte oft mit ihrer Tochter den Zoo in London und war besonders fasziniert von den Tigern, die sie als unglaublich schön empfand.
Sie erzählte die Geschichte vom Tiger, der zum Tee kommt, immer wieder, bevor sie sich entschied, sie als Buch zu veröffentlichen. Sie erinnerte sich daran, dass sie sich an einem Tag, als ihr Mann Nigel Kneale für einen Film weg war, ein wenig einsam fühlte und sich wünschte, jemand würde vorbeikommen. Da sie gerade im Zoo gewesen waren, erschien es ihr nur logisch, dass ein Tiger kommen könnte. Sie betonte, dass die Geschichte einfach daraus entstand, dass sie versuchte, ihre kleine Tochter zu unterhalten und ihre Fantasie anzuregen. Die Geschichte wurde so oft wiederholt, dass Kerr sie auswendig konnte, und sie passte sie leicht an die Reaktion ihrer Tochter an, ließ Teile weg, wenn diese gelangweilt wirkte. Ihre Tochter liebte die Geschichte so sehr, dass sie immer wieder sagte: "Talk the tiger" (Erzähl vom Tiger).

Die Produktion einer späteren Fernseh-Adaption bestätigte diese Darstellung. Ruth Fielding, eine der Produzentinnen, arbeitete eng mit Judith Kerr in den frühen Phasen der Adaption zusammen. Sie betonte, dass Kerr sehr klar dargelegt habe, dass sie das Buch schrieb, als sie zu Hause eine Vierjährige betreute und die Kraft der Fantasie nutzte, um sie zu unterhalten. Der Tiger sei nichts Bedrohliches; er sei einfach mit seinem frechen Charme hereingekommen und habe Chaos verursacht, was Sophie und ihre Mutter fröhlich, wenn auch etwas verblüfft, zurückgelassen habe.
Kontroverse Interpretationen: Mehr als nur ein Tiger?
Obwohl Judith Kerr stets darauf bestand, dass der Tiger einfach nur ein Tiger sei und die Geschichte eine reine Fantasieerzählung zur Unterhaltung ihrer Tochter, gibt es eine alternative Interpretation, die von dem Kinderbuchautor Michael Rosen ins Spiel gebracht wurde. Rosen zog Parallelen zwischen dem Buch und Kerrs eigener Lebensgeschichte als Flüchtling aus Nazi-Deutschland.
Judith Kerr verbrachte ihre frühen Jahre in Berlin, kurz vor Beginn des Dritten Reichs. Ihr Vater war ein jüdischer Intellektueller und Theaterkritiker, der sich gegen das Nazi-Regime aussprach und auf einer Todesliste stand. Ihre Familie musste 1933 aus Deutschland fliehen, als Judith neun Jahre alt war, und der größte Teil ihres Besitzes wurde beschlagnahmt. Rosen argumentierte, dass der Tiger eine Metapher für die Bedrohung aus Kerrs Vergangenheit sein könnte – etwas, das unerwartet in ihr Leben eindrang und alles wegnahm, was die Familie besaß, ähnlich wie die Gestapo. Er sagte, dass Judith Kerr wisse, wie gefährliche Menschen ins Haus kommen und Menschen oder Besitztümer wegnehmen können. Er betonte, dass sie als kleines Kind wusste, dass ihr Vater jederzeit von der Gestapo oder SS verhaftet werden konnte. Obwohl der Tiger im Buch ein "witziger" Tiger sei, sei er dennoch ein Tiger – ein potenziell gefährliches und unkontrollierbares Wesen, das das Leben auf den Kopf stellt und alles konsumiert.
Judith Kerr jedoch wies diese Interpretation mehrfach entschieden zurück. Sie betonte immer wieder, dass der Tiger für nichts anderes stehe als für einen Tiger und keinerlei Relevanz für ihre Kindheit oder ihren Hintergrund habe. Für sie ging es in der Geschichte schlichtweg um die Freude und das Wunder, das die Ankunft eines Tigers an der Haustür auslösen würde.

Adaptionen für Fernsehen und Bühne
Die Popularität von "Der Tiger, der zum Tee kam" führte zu verschiedenen Adaptionen, die die Geschichte einem noch breiteren Publikum zugänglich machten.
Eine bemerkenswerte Fernseh-Adaption wurde 2019 von Channel 4 produziert. Diese animierte Version versammelte eine beeindruckende Besetzung namhafter Schauspieler, die den Charakteren ihre Stimmen liehen. David Walliams übernahm die Rolle des Erzählers. Weitere Rollen wurden von Schauspielern wie Benedict Cumberbatch, Tamsin Greig und David Oyelowo gesprochen. Robbie Williams steuerte sogar einen neuen Originalsong für den Soundtrack bei, der den Titel "Hey Tiger" trägt. Die Produzentin Ruth Fielding erwähnte, dass es einfach gewesen sei, diese hochkarätige Besetzung zu gewinnen, da alle den Buchklassiker liebten und ihn ihren eigenen Kindern vorgelesen hatten. Sie sagten sofort zu.
Darüber hinaus wurde das Buch auch für die Bühne adaptiert. Eine Theaterproduktion mit Musik von David Wood tourte und wurde unter anderem im West End in London aufgeführt. Diese Live-Adaption ermöglichte es Kindern und Familien, die Geschichte auf eine interaktive und mitreißende Weise zu erleben.
Internationale Verbreitung: Der Tiger spricht viele Sprachen
Die universelle Anziehungskraft der Geschichte zeigt sich auch in ihrer Verbreitung in vielen verschiedenen Ländern und Sprachen. Das Buch wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und ist so Lesern auf der ganzen Welt zugänglich gemacht worden.

Zu den bekannten Übersetzungen gehören:
- Deutsch: Ein Tiger kommt zum Tee
- Walisisch: Y Teigr a Ddaeth i De (mit der umbenannten Figur Catrin)
- Japanisch: おちゃのじかんにきたとら (Ocha no Jikan ni Kita Tora)
- Hebräisch: הטיגריס שבא לשתות תה (Hatigris Sheba Lishtot Te)
- Brasilianisches Portugiesisch: O tigre que veio para o chá da tarde
Diese Vielfalt an Ausgaben unterstreicht die zeitlose Qualität der Geschichte und ihre Fähigkeit, Kinder und Erwachsene unabhängig von ihrer Herkunft zu begeistern.
Häufig gestellte Fragen zum Buch
Viele Leser, ob jung oder alt, haben Fragen zu diesem besonderen Buch. Hier beantworten wir einige der häufigsten:
Was bedeutet der Tiger, der zum Tee kam?
Laut der Autorin Judith Kerr bedeutet der Tiger nichts Symbolisches. Er ist einfach ein Tiger, der für einen magischen, wenn auch chaotischen Moment im Leben eines kleinen Mädchens auftaucht. Die Geschichte wurde erfunden, um Kerrs eigene Tochter zu unterhalten und basiert auf der Fantasie, die durch den Besuch im Zoo und das Gefühl der Einsamkeit inspiriert wurde.
Gibt es eine versteckte Botschaft in „Der Tiger, der zum Tee kam“?
Während Michael Rosen die Theorie aufgestellt hat, dass der Tiger eine Metapher für die Bedrohung durch das Nazi-Regime sein könnte, die Kerrs Familie einst erlebte, hat Judith Kerr diese Interpretation stets bestritten. Sie bestand darauf, dass es keine versteckte Botschaft gebe und die Geschichte lediglich von der Freude und dem Wunder handele, das ein solches fantastisches Ereignis hervorrufen würde.
Ist der Tiger, der zum Tee kam, auf Deutsch erhältlich?
Ja, das Buch wurde ins Deutsche übersetzt. Die deutsche Ausgabe trägt den Titel "Ein Tiger kommt zum Tee".

Was trank der Tiger, der zum Tee kam?
Der Tiger trank zuerst den gesamten Tee, der für Sophie und ihre Mutter zubereitet war. Danach trank er alle Getränke im Haus und sogar das Wasser aus den Wasserhähnen trocken.
Was aß der Tiger, der zum Tee kam?
Der Tiger aß zuerst all das Essen, das auf dem Teetisch stand. Anschließend aß er den gesamten Inhalt des Kühlschranks und aller Schränke im Haus. Er ließ nichts übrig.
"Der Tiger, der zum Tee kam" bleibt ein geliebter Kinderbuchklassiker, der durch seine einfache, aber fantasievolle Geschichte besticht. Ob man ihn als reine Fantasie betrachtet, wie von Judith Kerr beabsichtigt, oder über tiefere Bedeutungen spekuliert, die Geschichte von Sophie und ihrem hungrigen, aber freundlichen Tiger fasziniert Leser jeden Alters immer wieder aufs Neue.
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