Warum nicht von unten fotografieren?

Der Winkel macht den Unterschied im Porträt

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Heutzutage besitzt fast jeder eine Kamera, sei es in Form eines Smartphones oder einer dedizierten Fotokamera. Das Fotografieren ist zu einem alltäglichen Hobby geworden, das von der einfachen Schnappschussfotografie bis hin zur anspruchsvollen künstlerischen Arbeit reicht. Besonders die Personen- oder Porträtfotografie ist weit verbreitet. Fast jeder wurde schon einmal fotografiert, und fast jeder hat schon einmal versucht, eine andere Person abzulichten. Doch während die reine Aufnahme technisch immer einfacher wird, bleibt die Kunst, ein wirklich gutes und ansprechendes Porträt zu schaffen, eine Herausforderung. In der Menschenfotografie gibt es einige entscheidende Faktoren, die ein Bild prägen und darüber entscheiden, ob es dem Betrachter in Erinnerung bleibt und das gewünschte Gefühl vermittelt. Einer dieser oft unterschätzten, aber fundamental wichtigen Faktoren ist die Wahl der Kameraperspektive – also aus welchem Winkel wir auf die zu fotografierende Person blicken. Ein häufiger Fehler, der vielen Hobbyfotografen unterläuft, ist das Fotografieren von unten, auch bekannt als Untersicht oder Froschperspektive. Doch warum sollte man diese Perspektive in der Porträtfotografie meist vermeiden?

Die Tücken der Froschperspektive

Wenn wir eine Person von unten fotografieren, verändern wir die Proportionen und die Wahrnehmung der abgebildeten Person in einer Weise, die in den meisten Fällen wenig schmeichelhaft ist. Die sogenannte Froschperspektive, bei der die Kamera deutlich unterhalb der Augenhöhe des Modells positioniert ist und nach oben gerichtet wird, führt zu signifikanten Verzerrungen. Diese Verzerrung entsteht durch die Nähe der Kamera zu bestimmten Körperteilen im Vergleich zu anderen. Die Teile, die der Kamera am nächsten sind, erscheinen größer und dominanter, während weiter entfernte Teile kleiner wirken.

Stellen Sie sich vor, Sie fotografieren ein Gesicht von unten. Was ist der Kamera am nächsten? Typischerweise sind es das Kinn, der Hals, die Schultern und eventuell die Nase. Diese Bereiche werden optisch vergrößert und betont. Das Ergebnis kann ein unvorteilhaft wirkendes Doppelkinn sein, selbst wenn die Person im realen Leben keines hat. Die Nasenlöcher werden oft stark hervorgehoben, was selten ästhetisch ist. Der Hals kann kürzer und breiter erscheinen, und die Schultern wirken massiger. Im Grunde werden die unteren Partien des Gesichts und Oberkörpers überbetont, während die Augen, die oft der wichtigste und ausdrucksstärkste Teil eines Porträts sind, kleiner und weniger präsent wirken.

Warum nicht von unten fotografieren?
Die Perspektive Fotografieren Sie von unten, wirken Personen oft größer und dominanter. Wählen Sie eine Perspektive von oben herab, erhalten Sie die genau gegensätzliche Wirkung. Drehen Sie die Kamera etwas, um etwas mehr Spannung ins Bild zu bekommen.

Neben den unvorteilhaften körperlichen Effekten hat die Untersicht auch psychologische Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Betrachters. Eine Person, die von unten fotografiert wird, wirkt oft dominanter, mächtiger oder sogar aggressiver. Dies liegt daran, dass wir im Alltag zu Menschen aufblicken, die größer oder höher positioniert sind, was oft mit Autorität oder Überlegenheit assoziiert wird. Während dieser Effekt in bestimmten Kontexten, wie zum Beispiel bei der Darstellung eines Helden oder einer autoritären Figur, gewünscht sein kann, ist er für ein klassisches, freundliches oder nahbares Porträt meist ungeeignet. Er schafft eine Distanz zwischen dem Betrachter und der abgebildeten Person, anstatt eine Verbindung aufzubauen.

Weitere Probleme mit dem niedrigen Winkel

Die Verzerrungen und die psychologische Wirkung sind nicht die einzigen Nachteile der Froschperspektive. Auch der Bildhintergrund und die Lichtführung können problematisch werden. Wenn Sie von unten fotografieren, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Sie die Decke des Raumes oder einen unruhigen, uninteressanten Himmel einfangen, falls Sie im Freien fotografieren. Diese Hintergründe lenken oft vom eigentlichen Motiv ab und tragen nicht zur Gesamtästhetik des Bildes bei. Ein gut gewählter Hintergrund sollte das Motiv ergänzen oder zumindest nicht stören, was bei der Untersicht oft schwer zu erreichen ist.

Die Lichtführung kann bei Aufnahmen von unten ebenfalls schwierig sein. Natürliches Licht fällt meist von oben oder von der Seite. Wenn die Lichtquelle von oben kommt (wie z.B. die Sonne am Mittag oder eine Deckenlampe), wirft die Untersicht starke Schatten unter das Kinn, die Nase und die Augenbrauen. Diese Schatten können das Gesicht hart und ungleichmäßig aussehen lassen und wichtige Details im Gesicht verdecken. Eine schmeichelhafte Ausleuchtung betont die Konturen des Gesichts weich und lässt die Augen strahlen, was bei der Froschperspektive oft nicht gelingt.

Auch bei Ganzkörperaufnahmen ist die Untersicht selten vorteilhaft. Sie lässt die Beine kürzer erscheinen, während der Oberkörper und der Kopf größer wirken. Dies kann die gesamte Proportion der Person verzerren und sie gedrungen oder unnatürlich aussehen lassen. Eine ausgewogene Darstellung des Körpers ist bei der Untersicht nur schwer möglich, es sei denn, es handelt sich um eine bewusste künstlerische Entscheidung, um beispielsweise die Größe oder Dominanz einer Person zu übertreiben.

Bessere Perspektiven für schmeichelhafte Porträts

Nachdem wir nun die Nachteile der Froschperspektive beleuchtet haben, stellt sich die Frage: Welche Winkel sind besser geeignet, um Menschen vorteilhaft zu fotografieren? Die Antwort ist relativ einfach und doch vielseitig:

Die Augenhöhe

Die natürlichste und oft schmeichelhafteste Perspektive ist die Augenhöhe. Das bedeutet, die Kamera wird auf Höhe der Augen der zu fotografierenden Person positioniert. Dies entspricht der Art und Weise, wie wir Menschen im normalen Alltag begegnen und wahrnehmen. Aus dieser Perspektive gibt es kaum Verzerrungen, die Proportionen wirken natürlich und das Gesicht wird ausgewogen dargestellt. Die Augen, als Spiegel der Seele, stehen im Mittelpunkt und ermöglichen eine direkte Verbindung zwischen der abgebildeten Person und dem Betrachter. Bei Ganzkörperaufnahmen aus Augenhöhe wirken die Proportionen des Körpers ebenfalls natürlich und ausgewogen. Dies ist die Standardperspektive für die meisten Porträts und eine hervorragende Ausgangsbasis.

Leicht von oben (Vogelperspektive)

Eine weitere sehr beliebte und oft schmeichelhafte Perspektive ist die leichte Vogelperspektive, bei der die Kamera leicht oberhalb der Augenhöhe positioniert und leicht nach unten geneigt wird. Dieser Winkel hat mehrere Vorteile. Erstens betont er oft die Augen, da sie näher an der Kamera sind. Zweitens kann er das Gesicht schmaler und definierter wirken lassen, da Schatten auf natürliche Weise unter das Kinn und die Wangen fallen und die Wangenknochen betonen können. Drittens kann dieser Winkel dazu beitragen, ein eventuelles Doppelkinn zu kaschieren. Viertens ermöglicht er oft einen Blick auf den Vordergrund oder den Boden als Hintergrund, der kontrollierbarer und weniger ablenkend sein kann als eine Decke oder der Himmel. Die leichte Vogelperspektive kann der Person auch eine sanftere und zugänglichere Ausstrahlung verleihen, da das leichte Herabblicken auf die Kamera oft mit Freundlichkeit assoziiert wird. Es ist jedoch wichtig, es nicht zu übertreiben. Eine extreme Vogelperspektive, bei der man fast senkrecht von oben fotografiert, kann den Kopf im Verhältnis zum Körper zu groß erscheinen lassen und die Person klein und verletzlich wirken lassen, was wiederum nicht immer gewünscht ist.

Weitere wichtige Faktoren in der Porträtfotografie

Obwohl der Winkel von entscheidender Bedeutung ist, ist er nur ein Element im komplexen Zusammenspiel, das ein gutes Porträt ausmacht. Weitere wichtige Faktoren sind:

  • Lichtführung: Weiches, schmeichelhaftes Licht (z.B. durch ein Fenster oder einen Diffusor) ist oft besser als hartes Licht, das starke Schatten wirft. Die Richtung des Lichts beeinflusst die Modellierung des Gesichts erheblich.
  • Hintergrund: Ein ruhiger, unscharfer oder passender Hintergrund lenkt den Blick auf die Person.
  • Bildgestaltung (Komposition): Wie die Person im Bild platziert ist, ob sie mittig, nach der Drittel-Regel oder angeschnitten ist, beeinflusst die Wirkung stark.
  • Ausdruck und Pose: Ein authentischer Ausdruck und eine natürliche Pose sind Gold wert. Hier ist die Kommunikation mit dem Modell entscheidend.
  • Schärfe und Fokus: In den meisten Porträts sollten die Augen gestochen scharf sein.

Das Zusammenspiel all dieser Elemente – Winkel, Licht, Hintergrund, Komposition, Ausdruck, Schärfe – macht ein herausragendes Porträt aus. Die Perspektive ist dabei ein grundlegendes Werkzeug, das bewusst eingesetzt werden sollte, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.

Wann könnte eine Untersicht doch sinnvoll sein?

Gibt es Situationen, in denen die Froschperspektive doch ihre Berechtigung hat? Ja, durchaus, aber meist nicht für klassische, schmeichelhafte Porträts. Wenn das Ziel darin besteht, eine Person besonders mächtig, imposant oder bedrohlich darzustellen, kann die Untersicht ein effektives Mittel sein. Man denke an Aufnahmen von Politikern auf Podien, Sportlern während des Wettkampfs oder Schauspielern in bestimmten Rollen, bei denen Dominanz vermittelt werden soll. Auch in der Modefotografie kann die Untersicht eingesetzt werden, um Silhouetten zu betonen oder einen dramatischen Effekt zu erzeugen. Bei Kindern oder Haustieren, die von Natur aus kleiner sind als der Fotograf, kann eine Aufnahme aus deren Augenhöhe technisch gesehen eine Untersicht aus der Perspektive des Fotografen sein, aber das Ziel ist hier oft, die Welt aus ihrer Sicht zu zeigen, was wiederum ein anderes künstlerisches Ziel verfolgt als ein typisches Erwachsenenporträt.

Es ist wichtig zu verstehen, dass es in der Fotografie keine starren Regeln gibt, die niemals gebrochen werden dürfen. Aber es gibt Richtlinien und bewährte Praktiken, die auf Erfahrung und dem Verständnis basieren, wie die menschliche Wahrnehmung funktioniert. Die Regel, die Untersicht in schmeichelhafter Porträtfotografie zu vermeiden, gehört zu diesen Richtlinien.

Vergleich der Perspektiven

Um die Unterschiede noch klarer zu machen, hier eine kleine Vergleichstabelle:

WinkelTypische Effekte (Gesicht/Oberkörper)Eindruck auf den BetrachterHintergrund
Untersicht (Froschperspektive)Verzerrungen, Doppelkinn, betonte Nasenlöcher, breiter Hals, große SchulternDominant, aggressiv, unnahbar, oft unvorteilhaftDecke, Himmel, oft unruhig
AugenhöheNatürlich, ausgewogen, proportionstreuGleichwertig, nahbar, authentischVariabel, kontrollierbar
Leicht von oben (leichte Vogelperspektive)Schmeichelhaft, Augen betont, Gesicht wirkt schmaler, kaschiert DoppelkinnSanft, freundlich, oft jünger wirkendBoden, Vordergrund, oft beruhigter

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Ist eine Untersicht immer schlecht?

Nein, nicht immer. Eine Untersicht ist dann sinnvoll, wenn Sie bewusst einen Effekt erzielen wollen, wie zum Beispiel die Darstellung von Macht oder Dominanz. Für ein klassisches, schmeichelhaftes Porträt ist sie jedoch meist ungeeignet.

Was ist der beste Winkel für ein Porträt?

Es gibt nicht den einen besten Winkel, da er vom gewünschten Ergebnis abhängt. Sehr oft sind die Augenhöhe oder ein Winkel leicht von oben die besten Wahl für schmeichelhafte Porträts, da sie natürliche Proportionen bewahren oder das Gesicht vorteilhaft modellieren.

Gilt das auch für Ganzkörperaufnahmen?

Ja, definitiv. Eine Untersicht bei Ganzkörperaufnahmen lässt die Beine kürzer und den Oberkörper größer erscheinen, was die Proportionen verzerrt.

Wie finde ich den richtigen Winkel?

Übung macht den Meister. Experimentieren Sie! Gehen Sie um Ihr Modell herum, verändern Sie die Höhe Ihrer Kamera. Beobachten Sie, wie sich das Gesicht und die Körperformen verändern. Kommunizieren Sie mit Ihrem Modell und bitten Sie um Feedback. Manchmal hilft es auch, das Bild auf dem Display oder im Sucher genau zu betrachten und kritisch zu beurteilen, wie die Person wirkt.

Was ist mit Fotos von Kindern oder Haustieren?

Bei kleineren Lebewesen ist es oft ratsam, sich auf deren Augenhöhe zu begeben. Obwohl dies für den Fotografen bedeutet, sich zu bücken oder hinzuknien und somit technisch von einem niedrigeren Standpunkt aus zu agieren, ist das Ziel, die Welt aus ihrer Perspektive oder zumindest auf Augenhöhe zu zeigen, was für die Verbindung zum Betrachter oft am besten funktioniert.

Fazit

Die Wahl der Perspektive ist ein mächtiges Werkzeug in der Porträtfotografie. Während die Untersicht in spezifischen künstlerischen oder konzeptionellen Kontexten eingesetzt werden kann, ist sie für die Schaffung schmeichelhafter, natürlicher oder freundlicher Porträts in den meisten Fällen kontraproduktiv. Die dadurch entstehenden Verzerrungen und die oft unvorteilhafte Wirkung auf die Proportionen und den Ausdruck der Person machen sie zur weniger bevorzugten Wahl. Stattdessen sollten Fotografen lernen, die Vorteile der Augenhöhe und der leichten Vogelperspektive zu nutzen, um das Beste aus ihren Modellen herauszuholen. Experimentieren Sie mit verschiedenen Winkeln, beobachten Sie genau, wie sich die Darstellung verändert, und Sie werden schnell feststellen, wie entscheidend die Perspektive für den Erfolg Ihres Porträts ist. Mit bewusster Wahl des Winkels können Sie Ihre Porträtfotografie auf ein neues Niveau heben und Bilder schaffen, die wirklich in Erinnerung bleiben.

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Andenmatten Soltermann

Hallo! Ich bin Andenmatten Soltermann, ein Schweizer Fotograf, der leidenschaftlich die Essenz der Welt durch seine Linse einfängt. Geboren und aufgewachsen in den majestätischen Schweizer Alpen, haben die deutsche Sprache und atemberaubende Landschaften meine kreative Vision geprägt. Meine Liebe zur Fotografie begann mit einer alten analogen Kamera, und seitdem widme ich mein Leben der Kunst, visuelle Geschichten zu erzählen, die berühren und verbinden.In meinem Blog teile ich praktische Tipps, Techniken und Erfahrungen, um dir zu helfen, deine fotografischen Fähigkeiten zu verbessern – egal, ob du ein neugieriger Anfänger oder ein erfahrener Profi bist. Von der Beherrschung des natürlichen Lichts bis hin zu Ratschlägen für wirkungsvolle Bildkompositionen ist es mein Ziel, dich zu inspirieren, die Welt mit neuen Augen zu sehen. Mein Ansatz verbindet Technik mit Leidenschaft, immer auf der Suche nach dem Funken, der ein Foto unvergesslich macht.Wenn ich nicht hinter der Kamera stehe, findest du mich auf Bergpfaden, auf Reisen nach neuen Perspektiven oder beim Genießen der Schweizer Traditionen, die mir so am Herzen liegen. Begleite mich auf dieser visuellen Reise und entdecke, wie Fotografie die Art und Weise, wie du die Welt siehst, verändern kann.

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