Die Welt der Fotografie steckt voller faszinierender Technik, die oft im Verborgenen liegt. Zwei zentrale Fragen, die sich viele Anfänger (und manchmal auch Fortgeschrittene) stellen, betreffen das Verständnis, wie wir das Bild sehen, bevor wir den Auslöser betätigen, und wie wir die Kontrolle über die Schärfeebene in unseren Aufnahmen behalten. Dieser Artikel taucht tief in das Innere Ihrer Kamera ein und beleuchtet, wie die Vorschau funktioniert und welche Faktoren die Tiefenschärfe wirklich beeinflussen.
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Das Auge der Kamera: Wie sehen wir das Motiv vor dem Foto?
Bevor der digitale Sensor oder der Film das Licht einfängt, gibt es in vielen Kameratypen einen Mechanismus, der es uns ermöglicht, genau das zu sehen, was die Kamera „sieht“. Bei Spiegelreflexkameras (DSLRs) geschieht dies über den optischen Sucher. Doch welcher Teil im Inneren der Kamera ist dafür verantwortlich, das Bild vom Objektiv zu unserem Auge umzuleiten?
Die Antwort liegt in einem raffinierten System aus Spiegeln und Prismen. Das Licht, das durch das Objektiv fällt, trifft zunächst auf einen schräg positionierten Spiegel im Inneren des Kameragehäuses. Dieser Spiegel lenkt das Licht nach oben in Richtung eines weiteren wichtigen Bauteils: des Pentaprismas oder Pentaspiegels.

Das Pentaprisma (oder bei günstigeren Modellen der Pentaspiegel) ist ein optisches Element, das das auf den Spiegel treffende Licht durch interne Reflexionen so umleitet und aufrichtet, dass das Bild im Sucher seitenrichtig und aufrecht erscheint – genau so, wie es später auf dem Sensor oder Film abgebildet wird. Erst wenn Sie den Auslöser drücken, klappt der Spiegel nach oben, das Licht kann direkt auf den Sensor fallen, und die Aufnahme wird gemacht. Während dieser kurzen Zeitspanne ist der Sucher dunkel.
Dieses System ist einzigartig für Spiegelreflexkameras. Bei spiegellosen Kameras (Mirrorless) gibt es keinen solchen Spiegel und kein Pentaprisma für die optische Vorschau. Stattdessen wird das Licht direkt auf den Sensor geleitet, und das Vorschaubild wird elektronisch erzeugt und auf einem kleinen Bildschirm (dem elektronischen Sucher, EVF) oder dem Haupt-LCD der Kamera angezeigt.
Warum andere Teile nicht die Vorschau im Sucher ermöglichen
Es ist hilfreich zu verstehen, warum andere Kamerateile nicht die Funktion der Vorschau über den optischen Sucher erfüllen:
- Die Blende: Die Blende befindet sich im Objektiv und steuert die Lichtmenge, die in die Kamera gelangt, sowie die Tiefenschärfe. Sie ist entscheidend für die Belichtung und die Bildgestaltung, aber sie lenkt das Licht nicht zum Sucher.
- Der Sensor: Der Sensor (oder der Film) ist das lichtempfindliche Element, das das finale Bild aufzeichnet. Er kann das Licht, das auf ihn trifft, nicht reflektieren oder umleiten, um eine Vorschau zu ermöglichen. Das, was wir im Live View sehen, ist eine elektronische Darstellung des Bildes, das der Sensor in Echtzeit empfängt – technisch gesehen keine optische Vorschau über das Spiegel-/Prismensystem.
- Das Okular: Das Okular ist das Linsensystem am Ende des Suchers, durch das Sie hindurchsehen. Es ist der äußerste Teil des Suchers und hilft dabei, das Bild scharf für Ihr Auge darzustellen, aber es ist nicht das interne Element, das das Licht vom Objektiv umleitet und aufbereitet. Es ist eher wie eine Lupe, die das Bild vergrößert, das das Prisma liefert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei einer klassischen Spiegelreflexkamera das Zusammenspiel von Spiegel und Pentaprisma (oder Pentaspiegel) die optische Vorschau im Sucher ermöglicht, bevor das eigentliche Foto aufgenommen wird.
Tiefenschärfe: Das unterschätzte Geheimnis des Abstands
Ein weiteres grundlegendes Konzept in der Fotografie ist die Tiefenschärfe – der Bereich im Bild, der scharf abgebildet wird. Viele Fotografen lernen schnell, dass die Blende eine entscheidende Rolle spielt: Eine offene Blende (kleine f-Zahl wie f/1.8) erzeugt geringe Tiefenschärfe (unscharfer Hintergrund), während eine geschlossene Blende (große f-Zahl wie f/8) für große Tiefenschärfe (viel im Bild ist scharf) sorgt. Was jedoch oft übersehen wird, ist, dass es einen weiteren, ebenso wichtigen Faktor gibt: den Abstand zwischen der Kamera und dem fokussierten Motiv.
Die Wahrheit ist, dass die Tiefenschärfe nicht nur von Blende und Brennweite abhängt, sondern maßgeblich auch von Ihrer Distanz zum Motiv. Dies ist ein mächtiges Werkzeug, das Ihnen hilft, die Tiefenschärfe genau nach Ihren Wünschen zu steuern, selbst wenn Sie mit weit geöffneter Blende fotografieren möchten.
Stellen Sie sich vor, Sie verwenden ein lichtstarkes Objektiv (ein sogenanntes „schnelles Prime“ mit fester Brennweite und sehr offener Anfangsblende, z.B. 50mm f/1.8), um ein Porträt zu fotografieren. Sie stellen die Blende auf f/1.8 ein, um einen schönen unscharfen Hintergrund zu erzielen. Wenn Sie nun sehr nah an Ihr Modell herangehen, wird der scharfe Bereich extrem klein sein – vielleicht sind nur die Augen scharf, aber die Nase oder die Ohren bereits unscharf. Wenn Sie jedoch mit der gleichen Blende (f/1.8) ein paar Schritte zurücktreten und das Porträt aus größerer Distanz aufnehmen, werden Sie feststellen, dass der scharfe Bereich (die Tiefenschärfe) deutlich zunimmt.
Diese Beziehung lässt sich vereinfacht so ausdrücken: Je näher Sie an Ihr Motiv herangehen, desto geringer wird die Tiefenschärfe bei gleicher Blende und Brennweite. Umgekehrt gilt: Je weiter Sie sich von Ihrem Motiv entfernen, desto größer wird die Tiefenschärfe.
Dies erklärt, warum viele Anfänger, die zum ersten Mal ein lichtstarkes 50mm f/1.8 Objektiv verwenden und begeistert bei f/1.8 fotografieren, oft feststellen, dass viele ihrer Nahaufnahmen nicht richtig fokussiert sind. Sie führen dies fälschlicherweise auf die Blende allein zurück, dabei ist es die Kombination aus offener Blende *und* geringem Aufnahmeabstand, die den scharfen Bereich so winzig macht, dass präzises Fokussieren zur Herausforderung wird.

Das Zusammenspiel von Blende, Brennweite und Abstand
Um die Tiefenschärfe vollständig zu verstehen und zu kontrollieren, müssen Sie das Zusammenspiel aller drei Faktoren berücksichtigen:
- Blende: Die wichtigste Steuerung für die *relative* Größe des scharfen Bereichs. Offener = geringer, Geschlossener = größer.
- Brennweite: Längere Brennweiten (Teleobjektive) erzeugen bei gleicher Distanz und Blende eine geringere Tiefenschärfe als kurze Brennweiten (Weitwinkelobjektive).
- Abstand zum Motiv: Dieser Faktor wird oft unterschätzt, hat aber einen enormen Einfluss. Geringer Abstand = geringere Tiefenschärfe, Großer Abstand = größere Tiefenschärfe.
Es ist die Kombination dieser drei Elemente, die das endgültige Ergebnis bestimmt. Wenn Sie also eine sehr geringe Tiefenschärfe wünschen (z.B. für ein Porträt mit stark unscharfem Hintergrund), sollten Sie idealerweise:
- Eine offene Blende wählen (kleine f-Zahl).
- Eine längere Brennweite verwenden (z.B. 85mm oder 135mm anstelle von 35mm oder 50mm).
- Nahe an Ihr Motiv herangehen.
Möchten Sie hingegen eine große Tiefenschärfe (z.B. für eine Landschaftsaufnahme), sollten Sie:
- Eine geschlossene Blende wählen (große f-Zahl).
- Eine kürzere Brennweite verwenden (Weitwinkel).
- Sich weiter vom Motiv entfernen (dies ist oft bei Landschaftsaufnahmen ohnehin gegeben, da der Fokus meist auf unendlich oder weit entfernte Objekte eingestellt ist).
Praktische Anwendung und Beispiele
Dieses Wissen ist besonders nützlich, wenn Sie mit einem lichtstarken Objektiv bei Offenblende arbeiten möchten, aber nicht immer die extrem geringe Tiefenschärfe wünschen, die bei sehr geringem Abstand auftritt. Wenn Sie beispielsweise ein Ganzkörperporträt mit einer 50mm f/1.8 Linse bei f/1.8 aufnehmen und Ihr Modell nur wenige Meter entfernt steht, wird die Tiefenschärfe groß genug sein, um die gesamte Person scharf abzubilden, während der Hintergrund dennoch angenehm unscharf ist. Wenn Sie jedoch nur das Gesicht aus nächster Nähe formatfüllend aufnehmen, wird der scharfe Bereich bei f/1.8 sehr klein sein.
Hier eine vereinfachte Darstellung, wie sich der Abstand auf die Tiefenschärfe auswirkt (angenommen: 50mm Brennweite, Blende f/1.8):
| Abstand zum Motiv | Geschätzte Tiefenschärfe (ungefähr) | Auswirkung |
|---|---|---|
| 0,5 Meter | ca. 0,5 cm | Extrem geringe Schärfentiefe, nur Teile des Gesichts scharf |
| 1 Meter | ca. 2 cm | Geringe Schärfentiefe, vielleicht Augenpartie scharf |
| 2 Meter | ca. 8 cm | Gesicht kann scharf sein, Ohren/Haare beginnen unscharf zu werden |
| 5 Meter | ca. 50 cm | Ganze Person scharf, Hintergrund wird unscharf |
| 10 Meter | ca. 2 Meter | Mehrere Personen oder größere Objekte scharf, Hintergrund sanft unscharf |
Hinweis: Diese Werte sind stark vereinfacht und dienen nur der Veranschaulichung des Prinzips. Die genaue Tiefenschärfe hängt von vielen Faktoren ab, einschließlich des Formats des Sensors und der Definition von 'ausreichend scharf'.
Das Experimentieren mit dem Abstand ist eine ausgezeichnete Methode, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie Ihre Objektive bei verschiedenen Entfernungen und Blenden arbeiten. Es ermöglicht Ihnen, mehr Kontrolle über die Bildgestaltung zu gewinnen und die Tiefenschärfe gezielt einzusetzen, sei es, um das Motiv hervorzuheben oder um sicherzustellen, dass ein größerer Bereich im Bild scharf ist.
Häufig gestellte Fragen (FAQs)
Warum kann ich bei einer spiegellosen Kamera das Bild auf dem Bildschirm sehen, bevor ich auslöse?
Bei spiegellosen Kameras trifft das Licht direkt auf den Bildsensor. Der Sensor liest das Lichtsignal kontinuierlich aus und sendet es an den elektronischen Sucher (EVF) oder das LCD auf der Rückseite der Kamera. Sie sehen also eine Live-Vorschau, die direkt vom Sensor kommt und oft sogar Belichtungs- und Farbeffekte in Echtzeit anzeigt. Es gibt kein optisches System mit Spiegeln und Prismen wie bei DSLRs für die Vorschau.
Ist die Tiefenschärfe bei einem Smartphone die gleiche wie bei einer DSLR?
Smartphones haben in der Regel sehr kleine Sensoren und sehr kurze Brennweiten (im Vergleich zum Kleinbildformat). Dies führt naturgemäß zu einer sehr großen Tiefenschärfe. Um einen unscharfen Hintergrund (Bokeh-Effekt) zu erzielen, verwenden Smartphones oft Software-Algorithmen, die das Bild digital bearbeiten und den Hintergrund simulieren, anstatt ihn optisch durch geringe Tiefenschärfe unscharf zu machen. Während neuere Smartphone-Kameras durch größere Sensoren und lichtstärkere Linsen etwas mehr Tiefenschärfe-Kontrolle bieten, ist die optische Kontrolle über die Tiefenschärfe bei Kameras mit größeren Sensoren und wechselbaren Objektiven in der Regel deutlich ausgeprägter.
Beeinflusst der Fokuspunkt die Tiefenschärfe?
Ja, absolut. Die Tiefenschärfe erstreckt sich vor und hinter dem Punkt, auf den Sie fokussiert haben. Wenn Sie den Fokuspunkt verschieben, verschieben Sie auch den Bereich der Tiefenschärfe im Bild. Die Größe dieses Bereichs (wie viel vor und hinter dem Fokuspunkt scharf ist) wird dann von Blende, Brennweite und Abstand bestimmt.
Kann ich die Tiefenschärfe im Sucher meiner DSLR sehen?
In der Regel sehen Sie das Bild im optischen Sucher einer DSLR immer mit der größten Blende des Objektivs, um ein helles Sucherbild zu erhalten. Viele Kameras haben jedoch eine Abblendtaste (Schärfentiefe-Vorschautaste), die die Blende auf den aktuell eingestellten Wert schließt. Wenn Sie diese Taste drücken, sehen Sie im Sucher das Bild mit der tatsächlichen Tiefenschärfe, die bei dieser Blende erzielt wird. Das Sucherbild wird dabei dunkler, da weniger Licht einfällt.
Was bedeutet „schnelles Objektiv“?
Ein „schnelles Objektiv“ ist ein Objektiv mit einer sehr weiten maximalen Blendenöffnung (z.B. f/1.4, f/1.8, f/2.8). Die Bezeichnung „schnell“ kommt daher, dass diese weiten Blenden es ermöglichen, mehr Licht in kürzerer Zeit auf den Sensor zu lassen, was schnellere Belichtungszeiten (kürzere Verschlusszeiten) bei gleichem Licht ermöglicht. Dies ist besonders nützlich bei schlechten Lichtverhältnissen oder um Bewegungen einzufrieren.
Fazit
Das Verständnis der inneren Mechanismen Ihrer Kamera, wie des Pentaprismas für die optische Vorschau in DSLRs, ist fundamental, um zu begreifen, wie das Licht seinen Weg zum Sensor findet und wie Sie das Motiv sehen. Ebenso wichtig ist es, die Faktoren zu kennen, die die Tiefenschärfe beeinflussen. Während die Blende oft als die wichtigste Steuerung angesehen wird, spielt der Abstand zum Motiv eine ebenso kritische, wenn auch weniger intuitiv verstandene Rolle. Indem Sie lernen, wie Blende, Brennweite und Abstand zusammenwirken, gewinnen Sie die volle Kontrolle über die Schärfeebene in Ihren Bildern und können Ihre kreativen Visionen präziser umsetzen. Nehmen Sie sich Zeit, mit Ihrem Objektiv zu experimentieren und zu beobachten, wie sich die Tiefenschärfe ändert, wenn Sie näher herangehen oder sich entfernen – es wird Ihre Fotografie bereichern.
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