Die Schweizer Detailhandelskette Coop hat in mehreren ihrer Filialen eine neue Technologie eingeführt, die auf den ersten Blick unscheinbar wirkt, aber weitreichende Fragen aufwirft: sogenannte «intelligente» Kameras. Diese Kameras sind nicht einfach nur passive Beobachter des Geschehens im Laden. Sie sind mit Software für Künstliche Intelligenz (KI) ausgestattet und darauf ausgelegt, das Verhalten der Kunden in Echtzeit zu analysieren. Das erklärte Ziel von Coop ist klar umrissen: die Bekämpfung von Ladendiebstahl, insbesondere an den immer beliebter werdenden Self-Checkout-Kassen, wo die Gefahr von Betrug als höher eingeschätzt wird.

Diese Initiative von Coop scheint in der Schweiz eine Neuheit zu sein und markiert einen Schritt hin zu proaktiver Verhaltenserkennung mittels Technologie im Einzelhandel. Während andere Händler auf physische Barrieren oder Kassenbon-Kontrollen setzen, wählt Coop einen technologischen Ansatz, der direkt das Kundenverhalten ins Visier nimmt. Doch die Implementierung dieser Kameras, die offenbar ohne breite vorherige Kommunikation erfolgte, hat bereits erhebliche Kritik hervorgerufen, insbesondere von Experten im Bereich Datenschutz und Recht.
Was sind «intelligente» Kameras und wie funktionieren sie?
Im Gegensatz zu herkömmlichen Überwachungskameras, die lediglich Videomaterial aufzeichnen, gehen die von Coop installierten «intelligenten» Kameras einen entscheidenden Schritt weiter. Sie sind mit fortschrittlicher Software ausgestattet, die auf Künstlicher Intelligenz basiert. Diese KI-Systeme sind darauf trainiert, Muster im menschlichen Verhalten zu erkennen und zu analysieren. In einem Einzelhandelsgeschäft bedeutet dies, dass die Kameras das Verhalten der Kunden beobachten und in Echtzeit interpretieren.
Die Software ist speziell darauf programmiert, Verhaltensweisen zu identifizieren, die als «verdächtig» eingestuft werden könnten und auf einen möglichen Diebstahl hindeuten. Solche Verhaltensweisen könnten vielfältig sein, auch wenn Coop keine genauen Details nennt. Denkbar sind beispielsweise ungewöhnlich lange Verweilzeiten an bestimmten Regalen, das Verstecken von Artikeln, das Nicht-Scannen von Ware am Self-Checkout oder wiederholtes Hin- und Herschauen. Sobald das System ein solches «verdächtiges» Verhalten erkennt, generiert es eine Warnung. Diese Warnung wird dann an das Personal im Geschäft gesendet. Mitarbeitende können anschliessend entscheiden, wie sie auf diesen Alarm reagieren.
Die genaue Funktionsweise der KI – also, welche Kriterien genau zu einem Alarm führen und wie zuverlässig diese Kriterien sind – bleibt von Coop unklar. Dies ist einer der Hauptpunkte der Kritik, da die Algorithmen, die solche Entscheidungen treffen, oft komplexe und nicht vollständig transparente «Lernmodelle» verwenden. Die Echtzeit-Analyse des Kundenverhaltens stellt eine intensive Form der Datenverarbeitung dar, die über die reine Videoaufzeichnung hinausgeht und tiefere Einblicke in die Aktivitäten der Kunden ermöglicht.
Der Zweck: Kampf gegen Ladendiebstahl und Self-Checkout-Betrug
Der Hauptgrund für die Einführung dieser fortschrittlichen Kamerasysteme ist für Coop die Bekämpfung von Ladendiebstahl. Ladendiebstahl stellt für Detailhändler weltweit einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden dar. Mit der zunehmenden Verbreitung von Self-Checkout-Kassen, bei denen Kunden ihre Artikel selbst scannen und bezahlen, sehen sich Einzelhändler mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Obwohl Self-Checkouts den Einkauf für viele Kunden bequemer machen und Personal entlasten können, bieten sie auch neue Möglichkeiten für unehrliches Verhalten, wie beispielsweise das absichtliche Nicht-Scannen von Artikeln.
Coop scheint in den «intelligenten» Kameras ein Mittel zu sehen, um genau dieses Problem anzugehen. Indem das System potenziell verdächtiges Verhalten während des Self-Checkout-Prozesses oder auch schon davor erkennt, erhofft sich Coop, Diebstähle zu verhindern oder Betrüger zu identifizieren. Die Echtzeit-Warnungen sollen es dem Personal ermöglichen, schnell einzugreifen, sei es durch diskrete Beobachtung oder direkte Ansprache des Kunden. Das Ziel ist somit eine präventive und reaktive Massnahme, um die Verluste durch Diebstahl zu minimieren und die Sicherheit in den Filialen zu erhöhen.
Es ist nachvollziehbar, dass Detailhändler ein legitimes Interesse daran haben, ihr Eigentum zu schützen und Diebstahl zu bekämpfen. Die Frage, die sich jedoch stellt, ist, ob die gewählte Methode – die umfassende Verhaltensüberwachung mittels KI – verhältnismässig ist und den rechtlichen Anforderungen, insbesondere im Hinblick auf den Datenschutz, genügt. Die Implementierung zielt klar darauf ab, die Effizienz der Diebstahlbekämpfung zu steigern, aber sie berührt gleichzeitig sehr sensible Bereiche der Privatsphäre der Kunden.
Kritik und Bedenken: Mangelnde Transparenz und Datenschutzfragen
Die Einführung der «intelligenten» Kameras durch Coop hat unmittelbar Kritik von Rechts- und Datenschutzexperten hervorgerufen. Der zentrale Punkt der Beanstandung ist die mangelnde Transparenz bei der Implementierung und Funktionsweise dieser Systeme. Kunden wurden offenbar nicht explizit und umfassend über die Art und Weise der Überwachung informiert. Coop verweist auf ein Piktogramm am Eingang der Geschäfte als Hinweis auf die Videoüberwachung. Dies wird von Experten jedoch als unzureichend kritisiert.
François Charlet, ein auf Datenschutz spezialisierter Jurist, äusserte gegenüber «Le Temps», dass ein eklatanter Informationsmangel bestehe. Er argumentiert, dass viele Menschen nicht erwarten, dass eine Kamera mit Künstlicher Intelligenz ausgestattet ist und Verhaltensweisen analysiert. Eine allgemeine Information über Videoüberwachung reiche nicht aus, um Kunden angemessen über die Tragweite und die spezifischen Risiken dieser Technologie aufzuklären. Das bedeutet, Kunden könnten sich der Tatsache, dass ihr Verhalten in Echtzeit analysiert wird, gar nicht bewusst sein.
Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) hat ebenfalls Bedenken geäussert und angekündigt, von Coop nähere Informationen über den Einsatz der Kameras einzufordern. Der EDÖB betont, dass jede Videoüberwachung, die als Datenverarbeitung gilt (was bei der Analyse durch KI der Fall ist), den Grundsätzen des Datenschutzgesetzes entsprechen muss. Dazu gehören insbesondere die Grundsätze der Transparenz und der Verhältnismässigkeit. Transparenz bedeutet, dass die betroffenen Personen klar und umfassend darüber informiert werden müssen, wer welche Daten zu welchem Zweck erhebt und verarbeitet. Verhältnismässigkeit bedeutet, dass die Massnahme geeignet, erforderlich und zumutbar sein muss, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Es muss eine faire Abwägung zwischen dem Interesse des Händlers (Diebstahlbekämpfung) und den Persönlichkeitsrechten der Kunden (Recht auf Privatsphäre) stattfinden. Die Kritiker bezweifeln, dass diese Grundsätze bei der aktuellen Umsetzung durch Coop vollständig eingehalten werden.
Potenzielle Risiken: Diskriminierung durch KI?
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Verhaltensanalyse birgt über die Fragen der Transparenz und Verhältnismässigkeit hinaus weitere potenzielle Risiken. KI-Systeme lernen aus grossen Datenmengen und entwickeln auf dieser Grundlage ihre Kriterien zur Erkennung von Mustern. Wenn die Trainingsdaten oder die Algorithmen selbst Voreingenommenheiten enthalten, kann dies zu diskriminierenden Ergebnissen führen. Das System könnte beispielsweise bestimmte Verhaltensweisen, die bei einer Personengruppe häufiger vorkommen (z.B. aufgrund von kulturellen Unterschieden, Alter oder Behinderung), fälschlicherweise als verdächtig einstufen, während dieselben Verhaltensweisen bei anderen Personengruppen ignoriert werden.
Estelle Pannatier, Policy Managerin bei der Organisation AlgorithmWatch, die sich kritisch mit algorithmischen Systemen auseinandersetzt, weist auf dieses Risiko hin. Sie betont, dass KI-gestützte Überwachungssysteme potenziell zu Diskriminierung führen können, wenn die Kriterien der Lernmodelle nicht transparent und sorgfältig auf mögliche Verzerrungen geprüft werden. Das System könnte unbewusst oder unbeabsichtigt bestimmte Kundengruppen häufiger unter Verdacht stellen als andere, basierend auf Merkmalen, die überhaupt nichts mit krimineller Absicht zu tun haben.
Es ist unerlässlich, so Pannatier, dass diese Risiken ernst genommen, bewertet und gemildert werden, bevor solche Systeme breitflächig eingesetzt werden. Die Gefahr einer algorithmischen Diskriminierung im Einzelhandel durch Verhaltensanalyse ist real und erfordert eine sorgfältige technische und ethische Prüfung. Die Intransparenz bezüglich der genauen Kriterien der KI-Analyse bei Coop verschärft diese Bedenken, da nicht nachvollziehbar ist, welche Verhaltensmuster als «verdächtig» gelten und ob diese Kriterien fair und unvoreingenommen sind.
Coop's Reaktion und die nächsten Schritte
Auf Anfrage hat Coop die Existenz der «intelligenten» Kameras bestätigt. Das Unternehmen verwies darauf, dass Kunden durch ein Piktogramm am Eingang der Geschäfte über die Videoüberwachung informiert würden. Damit sieht sich Coop offenbar den gesetzlichen Informationspflichten genügend. Allerdings weigerte sich Coop, nähere Details über die genaue Funktionsweise der Kameras preiszugeben. Dies wurde mit der Politik der Diskretion in Sicherheitsfragen begründet. Diese Zurückhaltung bei der Offenlegung der technischen Details und der genauen Kriterien der KI-Analyse ist jedoch genau der Punkt, der bei Datenschützern auf grosse Skepsis stösst.
Die Reaktion des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) zeigt, dass die Angelegenheit nicht abgeschlossen ist. Der EDÖB hat angekündigt, von Coop weitere Informationen einzufordern. Dies deutet darauf hin, dass die bisherigen Auskünfte und das vorhandene Piktogramm für die Datenschutzbehörde nicht ausreichen, um die Rechtmässigkeit des Systems abschliessend beurteilen zu können. Der EDÖB wird prüfen müssen, ob die Verarbeitung der Kundendaten durch die KI-Kameras den Grundsätzen des Schweizer Datenschutzgesetzes entspricht, insbesondere im Hinblick auf die Transparenz, die Verhältnismässigkeit und die Datensicherheit. Das Ergebnis dieser Prüfung könnte weitreichende Folgen für den Einsatz solcher Technologien im Schweizer Detailhandel haben.
Alternativen und der Schweizer Kontext
Während Coop auf KI-gestützte Verhaltensanalyse setzt, haben andere grosse Schweizer Detailhändler bisher andere Wege zur Diebstahlprävention gewählt. Wie im Artikel erwähnt, haben beispielsweise Migros oder Lidl in einigen Filialen Barrieren installiert, die Kunden dazu zwingen, ihren Kassenbon am Ausgang zu scannen, bevor sie das Geschäft verlassen können. Dieser Ansatz basiert eher auf einer physischen Kontrolle und Abschreckung als auf einer kontinuierlichen technologischen Überwachung und Analyse des Verhaltens innerhalb des Ladens.
Der Kassenbon-Scan-Ansatz ist für Kunden oft sichtbarer und verständlicher in seiner Funktionsweise als eine komplexe KI-Analyse im Hintergrund. Er konzentriert sich auf den Moment des Verlassens des Geschäfts und die Überprüfung des Einkaufs, während die Coop-Kameras das gesamte Verhalten im Laden überwachen können. Die Tatsache, dass Coop's Methode in der Schweiz eine Premiere zu sein scheint, unterstreicht, dass es sich um einen neuartigen und potenziell wegweisenden, aber eben auch umstrittenen Ansatz handelt. Der Vergleich mit den Methoden anderer Händler zeigt, dass es unterschiedliche Strategien zur Diebstahlbekämpfung gibt, die jeweils eigene Vor- und Nachteile im Hinblick auf Effektivität, Kosten, Kundenerlebnis und Datenschutz haben.
Häufig gestellte Fragen zu Coops KI-Kameras
Angesichts der Diskussion um die neuen Überwachungskameras bei Coop tauchen viele Fragen auf. Hier beantworten wir einige davon basierend auf den uns vorliegenden Informationen:
Hat Coop Überwachungskameras?
Ja, Coop hat in mehreren Filialen «intelligente» Kameras installiert, die mit Künstlicher Intelligenz ausgestattet sind.
Was machen diese Kameras genau?
Sie analysieren das Verhalten der Kunden in Echtzeit, um potenziell verdächtiges Verhalten zu erkennen, das auf Diebstahl hindeuten könnte. Bei Erkennung wird ein Alarm an das Personal gesendet.
Warum setzt Coop diese ein?
Das Hauptziel ist die Bekämpfung von Ladendiebstahl, insbesondere am Self-Checkout, wo Betrug eine Herausforderung darstellen kann.
Wurden Kunden über die Kameras informiert?
Coop gibt an, dass ein Piktogramm am Eingang der Geschäfte auf die Videoüberwachung hinweist. Kritiker und der EDÖB halten diese Information jedoch für unzureichend, da sie nicht spezifisch auf die KI-Analyse des Verhaltens hinweist.
Ist der Einsatz dieser Kameras legal?
Die Rechtmässigkeit wird derzeit von Datenschutzexperten und dem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) geprüft. Das System muss den Grundsätzen der Transparenz und Verhältnismässigkeit gemäss Datenschutzgesetz entsprechen.
Gibt es Risiken bei der Verwendung von KI zur Verhaltensanalyse?
Ja, Experten wie AlgorithmWatch weisen darauf hin, dass KI-Systeme, wenn sie nicht sorgfältig entwickelt und geprüft werden, potenziell zu Diskriminierung führen können, indem sie bestimmte Personengruppen aufgrund von Verzerrungen in den Trainingsdaten oder Algorithmen häufiger als verdächtig einstufen.
Was sagt die Datenschutzbehörde dazu?
Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) hat Bedenken geäussert und angekündigt, von Coop nähere Informationen über den Einsatz und die Funktionsweise der Kameras zu verlangen, um die Einhaltung des Datenschutzgesetzes zu überprüfen.
Wie unterscheidet sich Coop's Ansatz von anderen Händlern?
Im Gegensatz zu Migros oder Lidl, die teilweise auf physische Barrieren mit Kassenbon-Scan am Ausgang setzen, verwendet Coop Technologie zur kontinuierlichen Analyse des Kundenverhaltens im Laden.
Fazit: Eine Balance zwischen Sicherheit und Privatsphäre
Die Einführung von «intelligenten» Kameras mit Künstlicher Intelligenz bei Coop zur Bekämpfung von Ladendiebstahl ist ein Beispiel für den zunehmenden Einsatz fortschrittlicher Technologien im Einzelhandel. Während das Ziel, Diebstahl zu reduzieren, legitim ist, wirft die Methode – die umfassende Verhaltensanalyse der Kunden – erhebliche Fragen hinsichtlich Transparenz, Datenschutz und potenzieller Diskriminierung auf. Die diskrete Implementierung und die mangelnde Offenlegung der Details zur Funktionsweise der KI-Systeme haben zu berechtigter Kritik geführt.
Die Reaktion des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) zeigt, dass die Zulässigkeit dieses Systems genau geprüft werden muss. Es bedarf einer klaren und umfassenden Information der Kunden über die Art und Weise der Überwachung und einer sorgfältigen Abwägung, ob diese Form der Verhaltensanalyse tatsächlich verhältnismässig ist, um das Ziel der Diebstahlbekämpfung zu erreichen. Zudem müssen die potenziellen Risiken einer algorithmischen Diskriminierung ernst genommen und durch geeignete Massnahmen minimiert werden.
Die Situation bei Coop beleuchtet den Spagat, dem sich Unternehmen heute gegenübersehen: den Wunsch nach mehr Sicherheit und Effizienz durch Technologie mit den fundamentalen Rechten der Konsumenten auf Privatsphäre und faire Behandlung in Einklang zu bringen. Das Ergebnis der Prüfung durch den EDÖB wird wegweisend dafür sein, wie weit Einzelhändler in der Schweiz gehen dürfen, wenn es um die technologische Überwachung und Analyse des Kundenverhaltens geht.
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